GEMEINSCHAFTSGETRAGEN DURCH DIE KRISE

Das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft hat uns zum Interview eingeladen und daraus ist folgende Pressemitteilung geworden.

Pressemeldung

Bad Endorf, 2.11.2022

 

Solawi Jolling eG macht es vor: Gemeinschaftsgetragen durch die Krise

Hohe Inflation und steigende Preise im Supermarkt, an der Tanksäule und bei der Stromrechnung sorgen für Verunsicherung. In Solidarischen Landwirtschaften (kurz: Solawi) trägt eine Gruppe von Menschen gemeinsam die Verantwortung für eine Landwirtschaft. Wir haben gefragt, wie es in Krisenzeiten ist – reagieren kooperative Ernährungssysteme anpassungsfähiger als der Markt? Erweisen sich Solidarische Landwirtschaften als resilienter? Dazu haben wir die Solawi Jolling eG besucht und mit Carla Veith, Mareike Melain und Hubert Mitterer, dem Vorstandsteam der Genossenschaft gesprochen.

 Das Interview führte Andrea Klermann, Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e.V.

 

Erklärt uns kurz den Unterschied zwischen Hofladen, Grüner Kiste und Solawi

Mitterer: Im Hofladen besorgt der Kundin/ der Kunde relativ spontan, was sie/ er gerade braucht. Eine grüne Kiste ist ein Abo, auf das man sich etwas langfristiger einlässt. Der Inhalt der Kiste kann dabei, wie im Hofladen, auch dazugekauft sein und aus anderen Regionen kommen. Es sind beides normale Kaufvorgänge – das einzelne Lebensmittel hat einen Preis.

In einer Solawi wird die Landwirtschaft als solche, also der Anbau und die Produktion, nicht das einzelne Lebensmittel finanziert. Unsere Mitglieder erklären sich bereit, die Verantwortung für die Landwirtschaft gemeinsam, mindestens ein Jahr lang, zu übernehmen. D.h. ein ganzes Jahr ihren Beitrag zu zahlen, damit die Landwirtschaft zuverlässig planen und bestehen kann, vom Marktdruck befreit wird. Die gesamte Ernte der Solawifläche, ob viel oder wenig wird in der Gemeinschaft verteilt. Eine weitere Besonderheit ist, dass der Ausschussanteil in Solawis sehr gering ist, da u.a. auch krumme Karotten und Gurken ausgegeben werden – denn schmecken tun die genauso.

 

Wie heißt eure Solawi, welche Produkte bietet ihr an?

Veith: Die Solawi Jolling liegt am Ortsrand von Bad Endorf und wurde aus einer Initiative rund um den Kainzlhof von Andreas und Sabine Mitterer und Johannes Schindhelm 2015 gegründet. In den ersten Jahren wurden rund 50 Haushalten mit Gemüse versorgt. Heute besteht die Jolling eG aus rund 300 Ernteteilenden, die wöchentlich ihre Gemüsekiste in Abholräumen in Endorf, Prien, Breitbrunn, Amerang, Rosenheim und Wasserburg abholen. In die Kiste kommt so fast alles was der regionale und saisonale Anbau anbietet: von Asiasalaten über Gurken, Karotten, Rote Bete, Postelein, Spitzkraut, Wintersalate bis Zucchini u.v.m. Wir arbeiten mit drei ökozertifizierten Betrieben zusammen, die den Anbau der rund 40 verschiedenen Gemüsesorten übernehmen.

Eure Mitglieder zahlen das ganze Jahr einen monatlich gleichen Beitrag für die Kiste mit unterschiedlichem Inhalt?

Melain: Ja, und sie erhalten im Jahresverlauf unterschiedlich viele Lebensmittel. In der Sommerfülle ist der Anteil natürlich größer, Winters gibt’s naturgemäß weniger Frisches und mehr Lagergemüse. Solawi bedeutet auch, sich regional und nach dem Jahresverlauf zu ernähren. Dafür sind unsere Lieferwege sehr kurz und die Ernteteilenden wissen genau, was auf den Teller kommt und unter welchen Bedingungen es angebaut wurde. Außerdem ist das Kochen mit saisonalen und regionalen Lebensmitteln meist abwechslungsreicher und geschmackvoller.

 

Wie geht es euch als Solawi aktuell mit all den Krisen und Preissteigerungs-Szenarien?

Mitterer: Unsere kleinbäuerliche Solawi ist durch regionalen, ökologisch nachhaltigen Anbau weniger als die industrielle Landwirtschaft von internationalen Märkten, Lieferketten und damit verbundenen Problemen betroffen. Die Preissteigerungen bei der Petrochemie betreffen Solawis somit weniger. Im ökologischen Anbau wird z.B. mit stickstoffsammelnden Hülsenfrüchten gearbeitet oder mit langsam wirkenden organischen Düngern wie Mist oder Kompost aus dem eigenen Betrieb. Auch biologisch-dynamische Präparate kommen bei uns zum Einsatz. Allgemeine Preissteigerungen für Dünger betreffen uns also nicht. Aber gestiegene Preise für Diesel oder Strom kommen natürlich auch bei uns an. Hier bietet eine gemeinschaftsgetragene Landwirtschaft allerdings solidarische Lösungen. Denn hinter den Produzierenden steht die Gemeinschaft von Ernteteilenden, die als Gruppe eine solidarische Aufteilung der gestiegenen Kosten anbieten kann. Wir haben im Oktober unser Energie-Kraut-Funding gestartet und alle Solawi-Mitglieder, die sich beteiligen möchten, eingeladen mit einer Zuwendung die gestiegenen Strom- und Treibstoffkosten der produzierenden Betriebe gemeinsam zu tragen. Unser Spendenziel sind 2.400€ bis zum Frühjahr.

Generell lässt sich sagen, dass Solawis unabhängiger von den am Markt gestiegenen Preisen sind, da sie lokaler wirtschaften, die Wertschöpfung in der Region erfolgt und in der aktuellen Situation auch unabhängiger von energieintensiven Zusätzen sind. Alles in allem zeigt die Solidarische Landwirtschaft also einen hohen Grad an Resilienz und trägt zur Stabilität in der Landwirtschaft sowie zu einer Ernährungssouveränität in der Region bei.

 

Und wie wirken sich die steigenden Kosten bei euren Verbrauchenden aus?

Melain: Unsere Mitglieder haben sich aktiv für das Solawi-Prinzip – sich die Ernte und das Risiko zu teilen - entschieden, und haben daher ihre finanziellen Budgets auch langfristig im Blick. Sie verstehen sich als „Prosument:innen“, sie produzieren mit, sind mit in der Verantwortung, Seite an Seite mit der Landwirtschaft. Trotzdem haben auch wir natürlich die allgemeinen Preissteigerungen im Blick. Wir Solawis sind kreativ in der Lösungsfindung!

Wir verbuchen - nach einer erhöhten saisonbedingten Nachfrage im Frühjahr – aktuell einen zweiten Nachfrageanstieg. Zahlreiche neue Haushalte sind zum Oktober Mitglied in der Solawi geworden oder haben das zweimonatige Probeabo bestellt. Es freut uns natürlich sehr, dass Solawis in verunsichernden Zeiten als etwas Stabiles und Wirkungsvolles wahrgenommen werden. Teil von etwas Sinnstiftendem zu sein und etwas mit dem täglichen Lebensmittelverbrauch zu bewirken, wird für immer mehr Menschen attraktiv und zur Voraussetzung für ihr Konsumverhalten.

Wichtig ist uns als Gestaltenden der Solawi, dass viele Haushalte sich angesprochen fühlen, sich von der Jollinger Gemüsekiste versorgen zu lassen – unabhängig von ihrem aktuellen Einkommen. Und so bieten wir flexible Soli-Tarife an: manche Haushalte zahlen einen Soli-Tarif über dem regulären Beitrag, um Haushalte mit geringerem Einkommen, die stärker von den Preissteigerungen betroffen sind, in der Solawi zu halten bzw. ihnen eine Gemüsekiste zu ermöglichen. Dieses Angebot nutzen bei uns in der Solawi einige Haushalte: als wir den Beitrag angehoben haben, konnten einige wenige Mitglieder das nicht mehr zahlen. Andere wiederum haben analog unserer Beitragserhöhung ihren Soli-Tarif auch entsprechend erhöht: Gemeinschaftsgetragene Landwirtschaft eben!

Kooperative Landwirtschaft bietet viele Wege, alle Menschen an lokaler, gesunder und ökologischer Versorgung teilhaben zu lassen. Wichtig ist, im Dialog zu bleiben, gemeinsam Lösungen zu finden und sich von der Grundeinstellung leiten zu lassen: Wir sind gemeinsam verantwortlich und gestalten Landwirtschaft und sozialen Zusammenhalt innerhalb unserer Region.

 

Wie kann man bei Euch mitmachen?

Veith: Für November und Dezember bieten wir weiterhin ein Probeabo an. Wer neugierig geworden ist, kann sich auf unserer Homepage unter www.jolling.de informieren oder uns auch gerne anrufen unter T. 08053 49440. Persönlich kennenlernen kann man uns beim unseren Solawi-Führung: Nächster Termin im Frühjahr 2023.